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Die Optionsgesellschaft

Warum die Vielzahl an Optionen die Unverbindlichkeit fördert

Das Online-Shopping, das uns eine schier überbordende Auswahl bietet, zeigt sich inzwischen mit seinen Schattenseiten.     
Paketdienste kommen mit den Sendungen nicht hinterher, Verpackungsmüll türmt sich, stationäre Händler kämpfen um ihre Existenz, Retouren werden massenweise vernichtet – und damit wertvolle Ressourcen.      

Doch auch die Vielzahl an Optionen, die sich Schulabsolventen bieten, scheint mitunter Überforderung hervorzurufen. Wozu entscheiden? Ausbildung – oder doch besser ein Studium? Und wenn, welches?

Wie leben in einer Konsumgesellschaft, deren Prinzip es ist, möglich schnell und möglichst viel Waren umzuschlagen - letztlich, koste es, was es wolle.

Es ist noch nicht allzu lange her, da besaß ein durchschnittlicher Mensch noch zwischen 100 und 200 Dingen. Inzwischen kursieren Zahlen von 3000 – 10000 Besitztümern, die ein Durchschnittdeutscher besitzen soll.
Nun ist die Evidenz solcher Zahlen sicher schwierig.     
Letztlich spielt es aber auch keine Rolle, über wie viele Besitztümer wir tatsächlich verfügen – kaum jemand wird bestreiten, dass es zu viele sind und wesentliche Teile davon unnütz oder überflüssig.

Hinzu kommt die durchschnittliche Haltbarkeit vieler unserer Besitztümer, die sich statistisch nachweisen lässt. Denn sie nimmt ab.

Doch nicht nur der physische Konsum wird zum Problem.
Auch die Auswahl und Masse an digitalen Möglichkeiten ist inzwischen überbordend.

Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne, also die Zeit, die sich ein Mensch auf eine Sache konzentrieren kann, scheint messbar abzunehmen.

Exkurs: Die Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeitsspanne
Unter Aufmerksamkeit versteht man die Fähigkeit, unter den Eindrücken der vielfältigen Reize, die auf uns wirken, einzelne Aspekte zu selektieren und ggf. bevorzugt zu betrachten, während andere Aspekte nicht oder nur untergeordnet betrachtet werden.
Der Hintergrund dessen ist die Tatsache, dass unser Gehirn nicht in der Lage wäre, sämtliche Reize, die es erreichen, zu verarbeiten. Es sind schlicht zu viele.
Es selektiert bzw. priorisiert also (vgl. „selektive Aufmerksamkeit“).
Unter Aufmerksamkeitsspanne wiederum versteht man die Menge an Information, die man aus der Menge an eingehenden Reizen innerhalb eines kurzen Zeitraums aufnehmen und verarbeiten kann.
Der gleiche Begriff wird auch in Verbindung mit der Dauer verwendet, mit der sich ein Mensch auf eine Sache (Tätigkeit) konzentrieren kann.
Diese Dauer ist dabei abhängig von verschiedenen Faktoren. Diese sind das Lebensalter, die Tagesform, die Disposition und einiges mehr.
Die Aufmerksamkeitsspanne lässt sich sowohl im Hinblick auf die „Menge“, als auch die „Dauer“ lernen bzw. verlernen.
Das so genannte „Tik-Tok-Gehirn“ beschreibt das Phänomen bzw. die Annahme, wonach insbesondere die sozialen Medien, allen voran Tik-Tok, wo die angezeigten Videos nur 15 Sekunden dauern dürfen, die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne im Sinne der Dauer reduziert.

Tatsächlich gab es bis vor einiger Zeit kaum Evidenzen, da es keine belastbaren Studien gab. Erst 2019 beschäftigte sich ein Forscherteam der Technischen Universität Berlin, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB), des University College Cork und der Technical University of Denmark (DTU) mit diesem Thema – und bestätigte die Annahme im Wesentlichen.

So scheint klar zu sein, dass sich unser Gehirn an die zunehmende Zahl an Reizen, insbesondere in den sozialen Medien, gewöhnt und die jeweiligen Aufmerksamkeitsspannen kürzer werden – oder anders gesagt, dass wir alle paar Sekunden neue Reize benötigen und uns zudem gerne von externen Reizen wie Nachrichten aus Chats, ablenken lassen.

Nun kommt die interessante Frage: hat all dies Auswirkungen auf unsere zwischenmenschlichen Interaktionen? Die Annahme liegt zumindest nahe.

Die große Auswahl von Konsumgütern hat unser Konsumverhalten nachhaltig verändert. Die „Halbwertszeit“ von Kleidung, Deko, Elektronik etc. hat sich erheblich verkürzt.

Unser Konsumverhalten bei digitalen Produkten, sozialen Medien und Kommunikationsplattformen hat sich ebenso nachhaltig verändert. Immer mehr Content in weniger Zeit – das beschriebene Tik-Tok Phänomen.

Und dazu das Dating. In endloser Form rasen Fotos an Nutzern vorbei, die durch ein rasches links oder rechts qualifiziert oder disqualifiziert werden.
Auf Inhalte kommt es da längst nicht mehr an, der erste Eindruck zählt.

Und kommt es zur Gelegenheit des zweiten Eindrucks, dann kommt unser trainiertes Konsumverhalten hervor. Es werden keine Vorzüge mehr gesucht, sondern Nachteile in den Vordergrund gestellt, um der Unverbindlichkeit der gute Argumente zu liefern.

Wir reden hier von Optionen.
In Freiheit zu leben und die Freiheit zu haben, zwischen Optionen zu wählen, ist zunächst eine große Errungenschaft unserer Gesellschaft.
Diese Freiheit war hierzulande keineswegs selbstverständlich, im Osten unseres Landes bis vor nicht allzu langer Zeit nicht, in vielen Ländern dieser Erde bis heute nicht.

Doch diese Optionsvielfalt hat seine Grenzen und Schattenseiten. Ökologische und soziale Zerstörung fußt letztlich auf der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und individuellen Freiheit.

Die individuelle Freiheit, aus einer Vielzahl von Optionen entscheiden zu können, ggf. auch, ohne sich auf eine davon verbindlich festzulegen, ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen, führt aus meiner Sicht genau zu dem, was wir gesamtgesellschaftlich sehen: Überkonsum – und zwar im materielle, wie immateriellen Sinne. Und Überkonsum führt zu Überforderung – und diese wiederum zu einer Form der Selektivität. Und diese Fördert den Mangel der Fähigkeit zur Festlegung.

Zu schnell werden Kontakte abgebrochen, nicht gepflegt oder verspielt. Freundschaften, Beziehungen, Arbeitsverhältnisse – zunehmende Opfer überbordender Optionen.

Legt Euch wieder fest, lasst die Optionen Optionen sein. Sehr die Vorteile in einem Produkt oder im Menschen, der vor Euch steht – und nicht die Nachteile. Dann klappt es auch – mit der Nachhaltigkeit – in jeder Hinsicht!

Literaturtipp: Die Multioptionsgesellschaft aus 1994 von Peter Gross, Suhrkamp Verlag