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Eine MerkWürdICH ver-rückte Gesellschaft….

Ein Rück-, Aus- und Einblick in die Natur unserer Gesellschaft

„Die Menschen sind so notwendig verrückt, dass nicht verrückt sein nur hieße, verrückt sein nach einer anderen Art von Verrücktheit“. (Blaise Pascal, franz. Philosoph)

Psychologen und Psychotherapeuten zu finden, die noch KlientInnen annehmen, ist ein ebenso schwieriges Unterfangen, wie im Internet nicht über etliche heilbringende Coaches, Lebensberater und Glücksversprecher zu stolpern.

Viele Menschen, die die diversen Glücksversprechen überschätzen – ebenso, Viele, die den Sinn einer guten und professionellen therapeutischen Begleitung oder eines fundierten Coachings unterschätzen.

Das ist ein Thema, das mir sowohl in meinem beruflichen Alltag, als auch im privaten Umfeld mehr und mehr begegnet.

Interessant auch, dass viele ältere Therapeuten – ebenso, wie erfahrene Pädagogen (oder auch Sozialarbeiter), nahe der Verzweiflung sind, weil die Welt – und damit die Menschen – immer merkwürdiger werden. Man kann auch sagen – „verrückter“, wenn dies nur ein definierbarer Begriff wäre.

Nun ist die Definition, noch weniger die Diagnostik von „Verrückt“ nicht ganz so einfach – und am wenigsten eindeutig möglich. Zumal der Begriff nicht eindeutig, zumal medizinisch,  definiert ist.

„Verrückt“ sind wir doch irgendwie alle – das ist dann häufig der Konsens, der sich ergibt, wenn man versucht, das Thema einzugrenzen.   

Doch ist diese „Erkenntnis“ hilfreich?

Sicher nicht, denn diese Aussage, wir seien alle verrückt, vermag auf der einen Seite die Bedeutung echter psychischer Erkrankungen vieler Menschen, (die nicht zuletzt auch im Zuge von Corona spürbar zugenommen haben), verharmlosen, auf der anderen Seite aber auch die Ursachen der „Verrücktheiten“ verdecken, quasi unter dem Mantel der lapidaren Formulierung. „Verrückt sind wir doch alle“ – was macht das dann also schon!?

Nein – ich möchte es anders formulieren: wir werden alle immer merkwürdiger, denn die Gesellschaft wird immer merkwürdiger. Oder umgekehrt.

 „Neid ist unbedingte Anerkennung“. (Emanuel Wertheimer, dt./öst. Philosoph)

Was also stimmt nicht mit uns?

Die Sehnsucht nach Anerkennung – sofern sie nicht ohnehin in der DNA des Menschen
liegt – wächst offenbar stetig. Gepaart mit einem großen Wunsch nach Individualität.
Nicht umsonst sind soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram etc. voll mit schönen Bildern, tollen Videos und aufregenden Erlebnissen noch aufregenderer Menschen.
Und schönen Selbstdarstellungen. Und schönem Schein….

Man kann sich diesem System der sozialen Medien aktiv entziehen. Man kann sich abmelden – oder meldet sich erst gar nicht an.         
Doch ist man damit nicht mehr betroffen, vom System der sozialen Interaktion, vom Prinzip der Außenwirkung, von der Notwendigkeit des schönen Scheins?

Ich meine nein – denn Selbstbestätigung findet sich auch analog. Forciert durch das teure Auto oder die neuen Schuhe.

Das ICH in einer merkwürdigen Gesellschaft.

„Ich, ich, ich sag' ich, und das genügt“. (Pierre Corneille, franz. Dramatiker)

Das Wort „ICH“ nimmt in unserer Gesellschaft einen immer stärkeren Stellenwert ein.

Selbstverwirklichung. Selbstoptimierung. Stärkung des ICH. Um nur einige der zahlreich kursierenden Aufrufe und Angebote aufzuzeigen, die man so findet – nicht nur im Netz.

Dabei sind es genau diese Schlagworte, die das Problem sind. Denn es sind Schlagworte, ohne, dass die möglicherweise wohlmeinende Bedeutung dahinter klar zu machen – und wer macht sich schon die Mühe, zu verstehen, was hinter diesen Begriffen wirklich steckt.

Dahinter steckt nämlich keineswegs eine Werbung für das Erstreben vollkommener Egozentrizität. Dann könnten wir ja einfach noch weiter gehen. „Auf - lasst uns alle Egomanen werden“.

Tatsache ist, dass wir über die überbordenden externen Reize, die hohen Ansprüche anderer an uns, unserer uns selbst gegenüber, unserer gegenüber unseren Nächsten, den in unserem Wirtschafssystem grundvoraussetzenden, mindestens zweifelhaften, Konsumreizen, dem Bedarf an „mehr“, mit unseren paar Gehirnzellen nichts entgegen zu setzen haben. Wir sind damit schlichtweg überfordert!

Wir drehen uns um uns selbst. Und das macht uns zwangsläufig zu Egoisten. Die ihren eigenen Vorteil suchen, da sie mit sich und der Welt um sie herum überfordert sind. Denn Egoismus ist einfach. Er erklärt sich selbst und braucht keine Weitsicht.

Weitsicht wiederum hat mit Orientierung zu tun. Und diese fehlt. Es fehlt uns die Moral. Es fehlen uns die Werte!

Woher kommt Moral? Wer zeigt uns die wichtigen Werte? An was orientieren wir uns?

Die Kirchen, lange moralische Instanz, dienen in unserer säkularen Gesellschaft nicht mehr.
Letztlich aber auch, weil wir uns alle keine Mühe mehr machen, zu „verstehen“.
Die irdischen Vertreter dieser Kirche(n) machen es aber auch schwer, sie zu verstehen, ihnen zu folgen.   
Der Staat, die Regierung? Moralische Instanz? Wohl eher nicht.      
Kulturelle Moral? Längst nicht mehr.

Also machen wir uns alle unsere eigene Moral – und nicht selten, orientiert sich diese Moral, dieser Wertecodex, an unseren eigenen Bedürfnissen, an dem, was wir für richtig und für wichtig halten.

Damit machen wir uns zu Herren über unsere Bewertungen. Wir werten ebenfalls auf Basis unserer eigenen Bedürfnisse und vor allem unserer Selbstsicht. Und das reflektieren wir nicht. Wir können das gar nicht, denn wir haben es nicht gelernt. Und damit erheben wir uns über Andere - und sind damit auf dem Weg in den Narzissmus oder die Egomanie.

Und das ist ungesund. Nicht nur für uns, sondern für die ganze Gesellschaft.

„Single-ismus: Unsere Gesellschaft entbildet den Menschen mehr und mehr in seiner Fähigkeit, als ein soziales, beziehungsfähiges Wesen zu leben“. (W. Schulze, Autor)

In Ballungsgebieten sind gut die Hälfte aller Haushalte Singlehaushalte. Und die Zahlen steigen.

Schon heute ist Einsamkeit ein sehr wesentlicher gesellschaftlicher Aspekt, der einen hohen Anteil an nicht nur psychischen Erkrankungen hat. So kann Einsamkeit auch zu Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz oder Depressionen, Schlafstörungen und Angsterkrankungen führen, wobei grade Schlafstörungen und Depressionen Volkskrankheiten geworden sind, durchaus mit vielen verschiedenen Ursachen.

Werden wir nun eine zunehmend einsame, und damit kranke Gesellschaft?

Die Prognose ist sicher schwer – aber sicher scheint zu sein, dass der Aspekt der Einsamkeit im Alter zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.

Das Problem hierbei ist aus meiner Sicht, dass wir uns dessen, heute, in der Mitte unseres Lebens, nicht bewusst sind.

Das merken wir erst dann, wenn es zu spät ist.

„Die Versuchung zur „freundlichen Unverbindlichkeit“, ist die Ursünde des modernen Menschen“.(Albert Camus, franz. Schriftsteller).

Wir leben in einer zunehmend merkwürdigen Gesellschaft.    
Einheitliche Werte und Normen scheinen zunehmend an Bedeutung zu verlieren.

Unverbindlichkeit und Oberflächlichkeit scheinen dagegen immer mehr die Oberhand zu gewinnen. Sich auf etwas festzulegen, fällt vielen Menschen schwer. Wie auch – bei der Vielzahl an Optionen.

Und das zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit Beziehungen – und zwar Beziehungen in jedweder Hinsicht. Seien es freundschaftliche, oder partnerschaftliche, ja auch berufliche Beziehungen scheinen mehr und mehr durch Unverbindlichkeit, fehlende Festlegung, mangelnde Empathie – oder kurz gesagt – Egoismen überlagert zu werden.

Dabei strebt doch jeder Mensch im Grunde nach sozialer Interaktion, Beständigkeit und Verlässlichkeit. Ja – und nach Anerkennung, nach Wertschätzung – und nach Liebe.

Um diese Anerkennung, diese Verlässlichkeit und letztlich Liebe zu finden, treiben sich die Menschen nun in diversen Online-Börsen herum. Börsen für Fotos und Videos oft zweifelhafter Freizeitfreuden oder Börsen für Freund- und Partnerschaften.
Und diese Börsen haben sämtlich zur Eigenschaft, unendliche Optionen bereit zu halten.
Optionen der Interaktion, Optionen der Unterhaltung und des Zeitvertreibs, Optionen des Matchens und Datens.

Der Weg des geringsten Widerstandes ist mit schöner Unverbindlichkeit gepflastert. (G.W. Heyse, dt. Schriftsteller)

Es ist ja schon schwer, ein passendes Handy zu finden, bei dem großen Angebot. Wie schwer ist es dann, passende Freund*innen oder Partner*innen zu finden, bei der Vielzahl an Möglichkeiten, die sich online bieten….

Übersetzt in die reale Welt bedeutet dies: Handy bestellen, bei Nicht-Gefallen zurückschicken. Oder: Partner*in finden – und bei Nicht-Gefallen – sprichwörtlich in die Wüste schicken. Oder noch besser: erst gar nicht mehr melden, was sich neudeutsch „ghosten“ nennt:

„Das Wort „Ghosting“ stammt aus dem Englischen und kann ins Deutsche sinngemäß als wortloser Kontaktabbruch von Beziehungen und Freundschaften übersetzt werden. Wie ein Geist („Ghost“) verschwindet ein Mensch beim Ghosting aus dem Leben. Kein Abschiedsgruß, keine erklärenden Worte, lediglich Fragen bleiben zurück. Viele Dates, aber auch Beziehungen enden auf diese Weise. Nachrichten werden nicht mehr beantwortet, Anrufe blockiert und sämtliche Verbindungen gekappt. „Es wirkt so, als hätte man es mit einem Hologramm oder einem rahmenlosen Körper zu tun gehabt, einem Gespenst oder Geist“, beschreibt die Autorin Tina Soliman in ihrem Buch „Ghosting. Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter“ den Zustand“

„Laut einer Umfrage von Statista (Stand 2018) haben 19,7 Prozent der befragten Deutschen schon einmal Ghosting erlebt – Frauen ebenso wie Männer. Laut einer weiteren Umfrage der Dating-Plattform ElitePartner haben ganze 36 Prozent der Frauen zwischen 29 und 36 Jahren schon einmal jemanden geghostet. 19 Prozent sind es bei den Männern.“ 
(Quelle: AOK Gesundheitsmagazin, 2020).

Wie aber kann das alles langfristig funktionieren?

Zahlreiche Autoren widmen zu diesen Themen ganze Bücher, Podcasts und Veröffentlichungen. Hochspannend – ich empfehle die Lektüre oder die Podcasts!

Eine Ambivalenz, die sich in unserer Gesellschaft auftut – und am Ende ist es womöglich genau das, was die Gesellschaft und damit jeden einzelnen Menschen so merkwürdig macht!

Festgehalten kann werden: substanzielle soziale Interaktion funktioniert nicht ohne Festlegungen. Sie funktioniert nicht ohne Verbindlichkeit. Sie funktioniert vor allem nicht ohne Empathie.

Dennoch sind Menschen bereit, Andere „zu opfern“. Sie sind bereit, deren Bedürfnisse und Gefühle zu ignorieren, um die eigene Wertigkeit, die eigene Selbstwahrnehmung, das eigene Geltungsbedürfnis oder einfach den Wunsch nach kurzzeitige Anerkennung zu befriedigen, sich vor eigenem Schmerz, eigenen Risiken oder Angst vor Verlust zu schützen.

Sie nehmen in Kauf, dass Andere in ihren Grundfesten getroffen werden und überhöhen sich damit über diese. Sie scheuen die Auseinandersetzung – mit dem Gegenüber – und damit mit sich selbst.

Eine sehr besorgniserregende Entwicklung – hart am Rande des Übergangs vom Egoismus zum Narzissmus.

„Der sittliche Mut ist es, der die höchste Stufe der Menschlichkeit kennzeichnet; der Mut, die Wahrheit zu suchen und zu sagen; der Mut, gerecht und rechtschaffen zu sein; der Mut, der Versuchung zu widerstehen und seine Pflichten zu erfüllen“. (Samuel Smiles, engl. Arzt)

Wir alle wissen: das Leben ist endlich. Und es ist kurz. Es ist zu kurz für Belanglosigkeiten. Es ist zu kurz für Oberflächlichkeit. Zu kurz für Unausgesprochenes. Es ist zu kurz für Angst vor Festlegung. Es ist zu kurz für das Aufschieben von Wünschen, Träumen und Verlangen.

Das Leben erfordert Mut. Und zum Leben gehört auch Schmerz. Zum Leben gehört Verlust. Der Mut, Schmerz und Verlust auszuhalten.         Das Leben bringt aber auch Gewinn. Gewinn an reichen Erfahrungen. Gewinn an neuen Kontakten. Gewinn an Emotion. Gewinn an kleinen Kleinigkeiten, die täglich Freude machen.

Zu Freundschaft gehört Mut. Mut in Vorleistung zu gehen, ohne die Erwartung einer Gegenleistung. Soll diese kommen, wird sie kommen – oder auch nicht, dann gibt es nichts zu grämen.

Zu Liebe gehört noch viel mehr Mut. Und die Erkenntnis, dass wir zuerst mit uns selbst zufrieden sein müssen, um ehrlich lieben zu können und dann nicht uns lieben, sondern den/die andere/n – so, wie diese/r ist und nicht wie wir glauben, dass diese/r sein müsste.


Anhang:

Gute Vorsätze, eine persönliche Aussicht.

Mit einem neuen Jahr kommen immer die guten Vorsätze.

Was sind denn Deine guten Vorsätze für 2023 – wurde auch ich gefragt.

Die Klassiker? Weniger Süßes, mehr Sport, weniger Alkohol, gesündere Ernährung?

2022 war – für mich ganz persönlich – ein Jahr der außergewöhnlich zahlreichen und herben menschlichen Verluste. Bis zum letzten Tag.

Nun ist 2022 vorbei und 2023 noch nicht alt.

Das kann also nur eines bedeuten: Mein Vorsatz für das neue Jahr ist das fördern und fordern von Verbindlichkeit.       
Keine Ausreden. Keine Ausflüchte. Keine vorgeschobenen Argumente. Weder aktiv, noch passiv.

Vor allem: kein zurückziehen auf „keine Zeit“.    
        
Niemand „hat Zeit“, denn die Zeit gehört uns nicht!      
Man teilt sie sich ein – nach den eigenen Prioritäten, für die Dinge, die einem (selbst) wichtig sind. Alles Weitere sind Ausflüchte, Ausreden und fehlender Mut, zuzugestehen, dass kein Interesse an einer Interaktion, an einer Beziehung, an einer Freundschaft oder an einer Zusammenarbeit besteht.

Auch ich habe 2022 wieder auf´s Neue gelernt:

Menschen kommen und gehen – und um die meisten, die „gehen“, ist es schade, zumal, wenn es durch eine gute Kommunikation vermeidbar gewesen wäre.        
Aber oft geht da, wo eine Tür zugeht, tatsächlich eine Neue auf. Sofern man dafür bereit ist!

Und diejenigen Menschen, die endgültig gehen, die uns alleine auf dieser Welt zurücklassen, haben wir nicht verloren, denn wir haben von ihnen gelernt – und was wir von ihnen gelernt haben, bleibt!

Kein Mensch ist ersetzbar, denn jeder ist Einzigartig. Es lohnt sich, um jeden dieser Menschen zu kämpfen.         Aber natürlich ist es auch notwendig, rechtzeitig einzusehen, wann sich dieser Kampf, sich diese Arbeit, nicht mehr lohnt, wann er toxisch wird.
Allzu oft endet dieser „Kampf“ jedoch zu früh, denn man ist nicht bereit, hart genug für und in Beziehungen zu arbeiten.

Beziehungen, jedweder Art, sind Arbeit. Immer! Und: Beziehungen sind Kommunikation. Und [verbindliche] Kommunikation ist der Anfang von Allem. Nichts anderes!

 „Zwischen dem, was ich denke, dem, was ich sagen will, dem, was ich zu sagen glaube, und dem, was ich wirklich sage, dem, was Du hören willst, dem, was Du hörst, dem, was Du zu verstehen glaubst, dem, was Du verstehen willst und dem, was Du wirklich verstehst, gibt es mindestens neun Möglichkeiten, sich nicht zu verstehen.
Und jetzt kommt auch noch WhatsApp dazu“.
(Michael Nast, 2020)

 Auf ein verbindliches Jahr 2023!