Ich denke, was Du denkst…
Was unsere Interpretationen mit Kommunikation zu tun haben.
Ein Haupt-Problem im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation und Interaktion – insbesondere in Zeiten von WhatsApp & Co., ist folgendes Phänomen:
Das Phänomen der Interpretation.
Es sind sehr häufig
nicht die Dinge, die gesagt werden, die zu Irritationen führen, denn sie sind
ja gesagt worden, so sie denn kongruent kommuniziert worden, sondern vielmehr
die Dinge, die nicht gesagt werden. Oder geschrieben. Oder gezeigt.
Oder nicht vollständig gesagt – oder geschrieben oder gezeigt - was
insbesondere bei Medien wie WhatsApp oder anderen Messengern gerne der Fall
ist.
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Ein Exkurs in die Grundlagen der Kommunikation:
Klassische
Kommunikationsmodelle basieren auf dem Sender-Empfängerprinzip.
Ein Sender (also einer von 2 oder mehreren Kommunikationspartnern) sendet ein
Signal (das kann ein Wort, ein Blick, ein Zeichen etc. sein), welches vom
Empfänger (also dem Kommunikationspartner) empfangen und „übersetzt“ wird.
Ein häufiger Kommunikationsstörer ist die falsche Übersetzung eines solchen Signals
– zum Beispiel ein falsch verstandener Blick, oder ein unklarer Gruß oder ein
unpräzise formulierter Satz.
Es gibt eine ganze Reihe von Kommunikationstheorien, die diese so genannten
Kommunikationsstörungen zu erklären versuchen. Hier ein Abriss:
Kurz
gesagt besteht unsere Kommunikation aus dem gesprochenen (oder je nach
Definitionsansatz dem geschriebenen) Wort (= verbale Kommunikation), der Gestik
und Mimik (= nonverbale Kommunikation), sowie der paraverbalen Kommunikation,
also vereinfacht erklärt z.B. Lautstärke, Untertönen, Akzentuierungen etc.
welche sehr wesentlich für die Inhalte einer Nachricht sein kann.
So kann die Aussage „nein, Du nervst mich nicht“ in einer ruhigen und
freundlichen Aussprache mit einem direkten und freundlichen Blick die
gegenteilige Bedeutung haben, wie der gleiche Satz in einer herablassenden
Aussprache mit „verdrehten“ Augen.
Auch kann der gleiche Satz mit dem Akzent auf dem „Du“ besagen, dass alles
Mögliche nerven kann, aber eben nicht „Du“. Oder ein laut ausgesprochenes
„Nein“ bei gleichzeitigem erhöhen des „nervst“, vielleicht mit einem Blick an
die Decke kann bedeuten, dass Du tatsächlich nervst, indem du fragst, dass Du
nervst. Man sieht – vielfältige Möglichkeiten, die sich durch unsere Sprache
und deren Zwischentöne ergeben.
Eine
besondere Herausforderung, die diese unterschiedlichen Kommunikationsarten mitbringen, ist die so
genannte Kongruenz.
Kongruenz in der Kommunikation bedeutet, dass eine Aussage in sich und ihrer
dargebrachten Form oder im Kontext stimmig sein muss.
Ein „ich bin gut gelaunt“ in einer aggressiven Tonlage und grimmigem Blick an
einem stressigen Tag wird kaum kongruent sein. Sie mag im jeweiligen Kontext
vielleicht ironisch gemeint sein, aber um dies zu verstehen bedarf es einer
gewissen Kommunikationskompetenz - diese (ggf. fehlende) Kongruenz zu
identifizieren und richtig zu übersetzen – bestenfalls durch die Nachfrage „wie
hast Du das gemeint?“.
Der Vorteil der direkten Kommunikation, also einem Gespräch oder Telefonat, ist in der Regel, dass solche möglichen „Miss“verständnisse und mögliche Inkongruenzen bestenfalls unmittelbar aufgelöst werden können. Nachrichten über einen Messenger ermöglichen dies für Gewöhnlich jedoch nicht.
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Zurück zum Ausgangsthema:
Was nämlich passiert bei unserer Kommunikation:
In dem Moment, in dem wir ein Signal
empfangen, beginnen wir es in unsere Sprache zu übersetzen.
Bestenfalls sprechen wir die gleiche Sprache wie der Kommunikationspartner, so
dass es auf der reinen Wortebene, also der verbalen Ebene, schon mal kein
Problem gibt.
Wo Missverständnisse nun auftauchen, ist in der Regel im Bereich der nonverbalen und paraverbalen Kommunikation (siehe Exkurs oben).
Wo nun aber einer oder mehrere der Kommunikationsformen fehlen, also die nonverbale und paraverbale Kommunikation im Rahmen eines Chats, oder die verbale Kommunikation bei einer entfernten Begegnung, (zum Beispiel mit einem winkendem Gruß aus der Ferne), oder aber eine vollständig fehlende Kommunikationseinheit (z.B. ausbleibende Antwort bei WhatsApp, oder ein nicht beantworteter Brief, oder ein nicht erfolgender Rückruf) - da beginnt ein Teufelskreis, der kaum aufzuhalten ist:
Wir beginnen zu interpretieren.
Immer dann, wenn uns eine klare Aussage unseres/r Gegenüber fehlt, beginnen wir meist zwangsläufig, uns Gedanken darüber zu machen, was der/die Andere wohl denken oder meinen könnte.
Kennen wir unser gegenüber sehr gut, mag das in vielen Fällen, abhängig von der Situation, vielleicht auch zutreffen.
In der Regel aber dürfte und wird dies jedoch nicht der Fall sein.
Denn wir interpretieren auf Basis unserer eigenen Erfahrungen, Werte und Denkmuster.
Und diese sind im Allgemeinen nicht Deckungsgleich mit denen unserer Kommunikationspartner.
Heißt: wir denken, was der/die andere denken könnte – und schlimmstenfalls gilt das gleiche für das Gegenüber auch – und dies kann gerne zu einem Teufelskreis führen, bis hin zum vollständigen Kontaktabbruch, beispielsweise weil sich keiner der Betroffenen traut, oder zu stolz ist, wieder den ersten Schritt zu tun.
Es ist schon verrückt. Im Grunde basieren viele unserer zwischenmenschlichen Probleme auf Missverständnissen.
Allerdings auf Missverständnissen nicht in der ganz klassischen Form, weil wir beispielswiese etwas nicht ganz verstanden haben.
Sondern Missverständnissen in der Form, dass und Teile einer Kommunikation fehlen und wir diese Teile mit unseren eigenen Inhalten füllen.
Sehen wir jemanden von weitem, der uns nicht grüßt, ist ja nicht gesagt, dass dieses Gegenüber uns ebenfalls gesehen hat. Nun beginnen wir aber zu interpretieren. Warum hat er/sie nicht gegrüßt? Mag er/sie mich nicht mehr? Oder hat er/sie mich nicht gesehen? Wollte er/sie mich nicht sehen? Hat er/sie mich bewusst ignoriert? Ist er/sie mir böse? Diese oder vergleichbare Situationen kennt jede/r.
Eine neue Qualität nun bringt die Kommunikation im
digitalen Zeitalter.
Kommunikation via WhatsApp birgt zahlreiche Anlässe für
Kommunikationsstörungen.
Eine Antwort bleibt aus oder verzögert sich. Ein Emoji fehlt oder wird falsch
interpretiert. Ein Text ist missverständlich formuliert.
Nichts ist schlimmer, als eine unvollständige oder missverständliche – oder gar
ausbleibende Kommunikation auf digitalem Wege.
Denn diese ist in der Regel absolut, nicht unmittelbar verifizierbar – bietet Raum für vollkommen unnötige und mitunter übertriebene, bis hin zu selbstverletzender Interpretation.
Der u.a. von Paul Watzlawick formulierte
Axiom: "Man kann nicht nicht
kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und
genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht
kommunizieren" bringt genau diesen Aspekt auf den Punkt – aber mit einer modernen
Fehlerquelle: Der Fehlerquelle WhatsApp.
Watzlawick ist 2007 im stattlichen Alter von 85 Jahren verstorben – und hatte,
als die 5 metakommunikativen Axiome verfasst wurden, vermutlich noch kein
Smartphone in der Hand – geschweige denn kannte er die Ausmaße der digitalen
Kommunikation.
Was er wohl zu diesen neuen Kommunikationsformen gesagt hätte?
Wie auch immer - eine in
einer realen (analogen) Kommunikationssituation (z.B. persönliches Gespräch,
oder Brief) ausbleibende Antwort wird häufig gleich auch die Antwort an sich
beinhalten: es besteht kein Wunsch oder kein Interesse, oder auch keine
Notwendigkeit einer Antwort. Es wurde also indirekt Kommuniziert – eben, in dem
die unmittelbare Reaktion ausbleibt.
Auch hier gibt es reichlich Interpretationsspielraum, der aber, wenn die
Beziehungsebene der Gesprächspartner mehr oder weniger klar ist, eine
unmittelbare Klärungschance beinhaltet.
Die Kommunikation via Messenger, die wesentlich schneller ist, als beispielsweise ein Brief, und mittelbarer, als ein Gespräch, aber ist viel gefährlicher: denn es fehlt eben die unmittelbare Rückkopplungsmöglichkeit.
Eine verzögerte Antwort: Interpretationsanlass. Keine Antwort: Interpretationsanlass. Unklarer Text: Interpretationsanlass. Blockade: Interpretationsanlass. Ein Häkchen, 2 Häkchen, 2 blaue Häkchen… Interpretationskarussell.
Was ein kommunikativer Irrsinn – und Irrweg.
Es gibt vermutlich nur wenige Auswege aus diesem Dilemma.
Wir können nur bei uns selbst beginnen – und vermeiden, unnötig in Interpretationsspiralen zu geraten – ebenso, wie wir vermeiden sollten, in unserer Kommunikation, insbesondere auf dem digitalen Wege, zu viel Spielraum für Interpretationen zu geben.
Es muss wieder in den Vordergrund, was wir sind und wie wir viele Jahrtausende sozialisiert wurden. Und dazu gehört zwangsläufig eine möglichst klare und direkte Kommunikation – auch, wenn diese mitunter unangenehm ist.
Die Folgen unklarer, gar ausbleibender Kommunikation ist wesentlich unangenehmer – so viel steht fest. Wenigstens für eine der Kommunikationsparteien, wenn nicht für alle, wenn beispielsweise eine Beziehung vollständig abbricht – eben, weil es unaufgelöste Kommunikationsstörungen gibt.
Also – reden wir miteinander!